Neuer Expertenstandard Erhaltung und Förderung der Hautintegrität

25.09.2023
Vanya Nicole Klauß

Juhuuu … ein neuer Expertenstandard ist da.

Er sollte erst „Pflege der Haut“ heißen, nun heißt er „Erhaltung und Förderung der Hautintegrität.“ Ich musste erst mal nachschauen, was Hautintegrität bedeutet, nämlich „die Kombination aus einer intakten Hautstruktur und einer Funktionsfähigkeit, die hoch genug ist, um sie zu erhalten.“


Um was geht es im Expertenstandard?

Es geht um die Prävention von:

  • Inkontinenz-assoziierter Dermatitis (IAD) bzw.
    Windeldermatitis (WD)
  • Intertrigo
  • Skin Tears

und die Hautpflege bei Xerosis cutis und leichte Formen von Intertrigo, IAD und WD.

Auch hier musste ich nachschauen … Skin Tears? Haut-Tränen? Nein, nein… das sind Hautrisse, bedingt durch fragile Haut, oft an den äußeren Extremitäten, meist an den Armen (Ellenbogen, Handrücken, Unterarm), seltener an Schienbein oder Fußrücken durch traumatische Ereignisse wie Reibung oder Ziehen.

Skin Tears treten als teilweiser oder vollständiger Haut-/Gewebeverlust auf. Bei teilweisem Verlust wird Epidermis und Dermis getrennt, bei vollständigem Gewebeverlust werden Epidermis und Dermis vom darunter liegenden Gewebe getrennt.

Es werden drei Kategorien differenziert.

  • Kategorie I – kein Gewebeverlust – gradliniger, klar abgegrenzter Einriss fragiler
    Haut oder -lappen, der repositioniert werden kann, um die Wunde abzudecken.
  • Kategorie II – teilweise Gewebeverlust – teilweiser Verlust des Hautlappens,
    der nicht mehr positioniert werden kann, um die Wunde abzudecken.
  • Kategorie III – vollständiger Gewebeverlust – vollständiger Hautlappenverlust,
    Wunde liegt komplett offen.

Und was bedeutet Xerosis cutis?
Eigentlich ganz einfach: trockene Haut, leichte bis starke Schuppung, Juckreiz und Entzündungen (Austrocknungsekzem).


Welche Ziele?

Die Zielsetzung des Expertenstandards lautet: „Jeder Mensch mit einem pflegerischen Unterstützungsbedarf und einem in diesem Expertenstandard adressierten Risiko oder Problem erhält pflegerische Interventionen, welche die Hautintegrität erhalten und fördern.“

Zur Erreichung dieser Zielsetzung werden die Standardkriterien auf der Struktur-, Prozess und Ergebnisebene beschrieben und ausgeführt.


Erster Schritt - Risikoerhebung

Im ersten Schritt geht es wie immer um die Einschätzung der Situation. Dazu braucht die Pflegefachkraft Kompetenzen und muss entsprechend geschult sein. Die Ersteinschätzung erfolgt zu Beginn des pflegerischen Auftrages in einem zweistufigen Vorgehen. Für die erste Einschätzung werden mögliche Fragestellungen formuliert, die im individuellen Kontext sprachlich anzupassen sind:

  • Gab es oder gibt es aktuell Probleme mit Ihrer Haut?
  • Wie reinigen und pflegen Sie Ihre Haut? Welche Produkte verwenden Sie?
  • Hat sich Ihre Haut in letzter Zeit verändert?
  • Haben Sie Kontaktallergien oder Unverträglichkeiten?
  • Schwitzen Sie oft und stark?
  • Befinden sich wunde Stellen oder Wunden auf Ihrer Haut?
  • Verspüren Sie ein Spannungsgefühl Ihrer Haut?
  • Haben Sie häufig „blaue Flecken“ oder reißt ihre Haut rasch ein?
  • Juckt oder schuppt Ihre Haut?
  • Brennt oder schmerzt Ihre Haut?

Werden eine oder mehrere Fragen bejaht, erfolgt eine vertiefende Einschätzung.

Können pflegebedürftige Person und Angehörige keine Auskunft geben, erfolgt IMMER eine vertiefte Einschätzung. Eine Wiederholung der Einschätzung erfolgt anlassbezogen z. B. bei gesundheitlicher Veränderung mit Einfluss auf die Hautintegrität oder in einrichtungsspezifisch festzulegenden Zeitabständen.


Für die vertiefte Einschätzung sind folgende Punkte zu berücksichtigen:

  • Selbstpflegefähigkeiten
  • Waschverhalten und Körperhygiene, wie oft und wie lange wird geduscht/gebadet, welche Produkte werden verwendet und wie oft
  • Einschätzung des pflegerischen Unterstützungsbedarfs
  • Ess- und Trinkgewohnheiten – Mangelernährung oder Übergewicht, wie ist das Trinkverhalten
  • Familiäre und berufliche Einflussfaktoren z. B. bekannte Kontaktdermatitis, Disposition mit hautschädigenden Einflüssen
  • Einschätzung individueller Ressourcen
  • Einschränkungen der Lebensqualität, z. B. Kleiderwahl, Kontakte, Schlafqualität, Wohlbefinden
  • Durchführung der Hautinspektion (Farbe, Feuchtigkeit, Erhabenheiten, Schuppen, Erosionen, hautbezogene Schmerzen, Juckreiz, Brennen, Spannungsgefühl)
  • Bei Menschen mit Inkontinenz Untersuchung von Hautstellen im Damm-Bereich und um den Anus herum sowie Leisten- und Genitalregion auf vermehrte Hautfeuchtigkeit, Rötungen, Erosionen, Brennen und Schmerzen
  • Bei Menschen mit Risiko für Skin Tears Untersuchung der Arme, Handrücken, Beine, auf dünne, verletzliche Haut, Einblutungen und abgeheilte Skin Tears achten
  • Bei Menschen mit Neigung zu trockener Haut Untersuchung von Gesicht, Kopfhaut, Körperstamm, Hände, Beine und Füße, Intimbereich

Bei Menschen mit hohem Intertrigo-Risiko (Übergewicht, Diabetes mellitus, Inkontinenz) auf Rötungen und Erosionen in den großen Bauchfalten (Bauchfalten, unter der Brust, Achselhöhlen, Intimbereich) achten

Achtung – auch die Empfehlung zu Hautmitteln muss im Maßnahmenplan auftauchen.

Individuelle Maßnahmen zur Erhaltung und Förderung der Hautintegrität

Der Maßnahmenplan wird auf Basis der Risikoeinschätzung individuell entwickelt. Die für die Umsetzung der Maßnahmen zu berücksichtigen Ressourcen, räumlichen und materiellen Voraussetzungen sind zu berücksichtigen (z. B. Selbstmanagementkompetenzen, Verfügbarkeit von Badewanne oder Dusche und der Ausstattung, zur Verfügung stehende Produkte zur Reinigung und Pflege der Haut.)

Die Maßnahmenplanung beinhaltet folgende Punkte:

  • Sinnvolle Hautmittel (auch die Beratung und Information dazu muss im Maßnahmenplan auftauchen)
  • Vorgehensweise bei der Reinigung und Pflege
  • Vermeidung/Beachtung von Aspekten in der Durchführung bei bestimmten Hautproblemen z. B. bei hohem Risiko für Skin Tears möglichst sparsamer Einsatz von Wasser und vorsichtiges Trockentupfen der Haut
  • Gewohnheiten, die zu Hautproblemen führen, benennen und Information/Beratung durchführen
  • Zeitpunkte für wiederholte Hautbeobachtung festlegen
  • persönliche Präferenzen, Wünsche, Erfahrungen, Gewohnheiten und Wissen der pflegebedürftigen Person berücksichtigen

Spezifische Maßnahmen zu Hautreinigung und Hautpflege sind für die besonderen Ausprägungen (IAD, Intertrigo, Skin Tears, Xerosis cutis) differenziert beschrieben.

In einem der Ergebniskriterien ist definiert, welche Kriterien ein Maßnahmenplan zu berücksichtigen hat:

  • Welche Hautmittel zur Reinigung und Pflege der Haut werden empfohlen?
  • Wie erfolgt die Reinigung der Haut und in welcher Häufigkeit?

Bei der Planung von Hautmitteln zum Verbleib auf der Haut (lipophile Produkte, hydrophile Produkte, Hautschutzprodukte) ist beschrieben, wie oft diese aufgetragen werden sollen.


Auswahlkriterien für Pflegemittel

Der Expertenstandard beinhaltet auch praxisrelevante Auswahlkriterien zu Pflegemitteln. Folgende erscheinen mir hier erwähnenswert:

  • Hydrophil – eher „wässrig“ – eignen sich besser für feuchte Haut
  • Lipophil – eher „fettig“ – eignen sich eher für trockene Haut
  • Viskosität – Verteilbarkeit, Verteilfähigkeit, Streichfähigkeit. Bei großflächiger Anwendung eher dünnflüssige, fließfähige Produkte, bei kleinflächiger Anwendung eher dickflüssige, streichfähige Produkte
  • Zusätzliche Feuchthaltefaktoren (z. B. Urea, Laktat)

Achtung: der Expertenstandard spricht sich nicht für standardisierte Einschätzungskriterien aus. Die pflegefachliche Einschätzung im Rahmen bestehender Instrumente ist völlig ausreichend, um die Kriterien umzusetzen. So könnte in der SIS im Themenfeld 4 oder in der Pflegeplanung im AEDL „Sich pflegen“ stehen: „Risiko für Intertrigo bedingt durch Übergewicht, multiple Hautfalten, vermehrtes Schwitzen und Inkontinenz.“ Oder: „Xerosis cutis (trockene Haut) angezeigt durch Schuppen und Juckreiz an den Beinen.“


Zusammenfassend …

Insgesamt beschreibt der Expertenstandard grundlegendes Pflegewissen und allgemeine Pflegeinterventionen bezüglich Hautintegrität und Hautpflege. Dementsprechend beinhaltet er nur begrenzt neue Anforderungen an das pflegerische Handeln, sondern macht Grundlagenwissen explizit. Inhalte dieses Expertenstandards sollen helfen, bestehende Lehrbücher und Curricula entsprechend zu ergänzen.

Was muss die Einrichtung tun?

Der Expertenstandard muss erst mal gelesen werden. Damit sollte sich die/der Qualitätsbeauftragte beschäftigen und die Inhalte des Standards für das Führungsteam aufbereiten. Anschließend wird eine Verfahrensregelung entwickelt, die ebenfalls vom Führungsteam und einzelnen Pflegefachkräften geprüft wird. Bestehende Verfahrensanweisungen wie „Intertrigoprophylaxe“ oder Grundpflegestandards müssen geprüft und erweitert werden.

Die Führungskräfte stellen sicher, dass notwendige Strukturen (Material, Ressourcen etc.) zur Verfügung stehen, um den Standard umzusetzen.

Nach Freigabe der Verfahrensanweisungen, müssen die Mitarbeiter geschult werden – fachlich und zum konkreten Vorgehen innerhalb der Einrichtung.

Nach einer Phase der Implementierung und Umsetzung, kann in einem Audit oder einer Befragung oder einer Besprechung der Stand der Umsetzung ermittelt werden. Der Grad der Umsetzung ist durch die prüfenden Personen zu bewerten. Je nach Stand sind dann wieder Maßnahmen zu planen und umzusetzen … und immer so weiter, ganz im Sinne des PDCA-Zyklus. Hört, hört 😊

Pflege-Besser GbR

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